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| Κ.Κ. in Translation |
Die neue Mündlichkeit der Lyrik |
Nicht alle Gedichte sind für die Ohren bestimmt. Schon seit der Spätantike gab es immer wieder Dichter, die sich bewusst an die Leser, nicht die Hörer richteten. Ein großer Teil der klassischen Moderne misstraute das gesprochene Wort. Die feste, metrikgebundene melopoiia, die objektive Form, die inhaltliche Unmittelbarkeit; all das, was das Gedicht zum Sprechkunstwerk machte sowie das Hörverstehen und Auswendiglernen ermöglichte, wurde durch Sprachexperiment, Formabbau und Hermetismus verdrängt. Der künstlerische Vortrag bzw. die Rezitation vor einem Auditorium wurde immer mehr zugunsten des schweigsamen Lesens vernachlässigt. Es gibt Zeichen, dass der Trend sich geändert hat. Auf der einen Seite wird das Lyrikbuch inmitten des inflationären Buchmarkts kaum mehr wahrgenommen. Auf der anderen Seite, erwecken die Lyrikfestivals und -Lesungen, vor allem die so genannte „slam poetry", international neues Interesse. Die Wiederentdeckung der poetischen Performance d.h. der uralten Kunst der Rhapsoden spielt dabei eine große Rolle. In der digitalen Welt sind Webplattformen wie lyrikline.org ein Versuch in dieselbe Richtung. Deren Initiatoren schlagen uns ein neues Format, praktisch ein neues Medium vor. Text plus Rezitation, und das gleichzeitig. Internet macht es möglich. Ob dieser Versuch gelingt, steht natürlich noch offen. Es kommt darauf an, ob es genug jüngeren Dichter geben wird, die dazu bereit wären, die Möglichkeiten des neuen Mediums zu erkennen und ihren Schreibmodus entsprechend zu transformieren, indem sie auf die neue Form des Mündlichen mit wirklich neuen, also mündlichen Mitteln eingehen. Wie bereits gesagt, nicht alle Gedichte sind für die Ohren bestimmt.
2004
[ 21. 9. 2011 ] |
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